Haustier, stubenrein

Ich beklage mich ja nicht im Geringsten über Langeweile und kann meine Tage immer problemlos füllen. Aber es war jetzt doch langsam an der Zeit, sich Gedanken über ein Haustier zu machen. Als ambitionierter Koch halte ich mir natürlich keinen Hund, das überlasse ich den asiatischen Meistern der Zunft. Hier sollte ein selbstgezüchteter Mikroorganismus einziehen, mein erster Sauerteig.

Es gibt wohl nichts, was nicht schon über dieses heikle Geschöpf geschrieben worden ist. Bei der Recherche beschleicht einen das Gefühl, das Internet sei wohl zum Zweck des Sauerteig-Befindlichkeit-Austauschs erfunden worden. Was ich an unterschiedlichsten Anleitungen zur Aufzucht, Teigführung und Brotproduktion gefunden habe, hat mich leider mehr verwirrt denn gebildet.
Ich habe mich letztlich ganz unbekümmert für den Weg des geringsten Widerstands entschieden und mir aus den vielen Beschreibungen die einfachsten und einleuchtendsten herausgepickt. Und dass dieser Post so lange wird, liegt nur daran, dass ich die vielen Arbeitsschritte für mich dokumentieren will, Gedächtnis und Alter und so. (tl;dr Mit Sauerteig kann man ein feines Roggenbrot backen!)

Wenn man ganz von vorne startet, muss man sich zunächst eine gute Bakterienkultur heranzüchten. Sympathischerweise schwirren diese Bakterien bereits um uns herum, wir müssen ihnen also nur einen guten Nährboden geben. Und darauf hoffen, dass dort das günstige saure Milieu schnell erreicht wird, bevor unerwünschte Keime die Nahrung für sich in Anspruch nehmen.

Tag eins war also der Vorbereitung gewidmet: Ein Glas mit Schraubverschluss mit kochendem Wasser ausspülen und an der Luft trocknen lassen. Dann 50 g Roggenmehl und 50 g handwarmes Wasser mischen und das Glas offen bei Raumtemperatur stehen lassen. Die Konsistenz darf recht flüssig sein, Fischkleister ist eine gute Referenzgrösse.

hier wird gearbeitet!

Am zweiten bis fünften Tag gibt man jeweils je 20 g Mehl und Wasser dazu, die Bakterien wollen nachgefüttert werden. Den Deckel kann man nun locker schliessen. Wenn alles richtig klappt, entwickelt sich bald ein betörender säuerlicher Duft. Wenn er unangenehm stark Richtung Essig abkippt, wenn sich Schimmel bildet oder plötzlich komische Färbungen entstehen, dann haben sich Fremdkeime breitgemacht. Dann gilt: Wegschmeissen, desinfizieren, neu starten. Mir war das Glück der Unbedarften hold, und so konnte ich nach fünf Tagen bereits ein sehr aktives Malheur aufputzen:

höchst aktives Kerlchen

Ab dem fünften Tag kann der Sauerteig verschlossen im Kühlschrank aufbewahrt werden und soll sich mehrere Monate halten. Macht man allerdings selten so, die Bakterien wollen ja auch trainiert werden! Über das Auffrischen reden wir gleich.

Diesen Starterteig kann man nun brauchen, um den finalen Sauerteig für die Brotproduktion zu bauen. Wem die Geschichte bis hierher bereits zu kompliziert war, der soll sich besser wieder an Hefebrote wagen, jetzt wirds drum erst richtig haarig: Der Sauerteig will nämlich richtig geführt werden. Die Literatur kennt die klassische 3-Stufen-Führung, die Detmolder 1-Stufen-Führung und Pöts einfache und modifizierte 3-Stufen-Führung. (Der Herr Pöt ist übrigens so etwas wie Deutschlands Sauerteig-Gott.)

Ich habe mich aus technischen Gründen für eine Abwandlung der modifizierten Version entschieden. Die geht so: Etwa 80 g von diesem Starterteig werden mit je 100 g Mehl und Wasser gut verrührt. Ich habe dies bereits in der Chromstahlschüssel der Küchenmaschine erledigt, gibt weniger abzuwaschen. Auch hier kann sich bezüglich der Konsistenz wieder am Fischkleister orientieren.
Nun beginnt die Stufenführung, will heissen der Teig ruht in drei Phasen in verschiedenen Temperaturen. Die ersten 8 bis 10 Stunden sollen das 25 bis 28 Grad sein. Das kann man im Backofen recht gut bewerkstelligen: Kurz vorwärmen (auf keinen Fall über 40 °C, dann können die Bakterien Schaden nehmen!), dann die mit einer Frischhaltefolie bedeckte Schüssel hineinstellen und das Licht brennen lassen. Sofern dies noch eine Glühlampe ist, erzeugt sie genügend Wärme, um die Temperatur zu halten. Ich habe sicherheitshalber mit einem genauen Gargut-Thermometer überprüft.

Für die zweite Phase werden wieder 100 g Mehl (wie im ganzen Text natürlich auch hier: Roggenmehl) und Wasser untergerührt. Dann steht der Teig für 6 bis 8 Stunden bei Raumtemperatur. Die letzte Phase schliesslich dauert 4 bis 6 Stunden, Zieltemperatur 16 bis 18 Grad (oder halt einfach der kühlste Raum in der Wohnung), auch wieder nach Zugabe von 100 g Mehl und Wasser.

Nun sind wir soweit, der Vorteig ist parat. Von dieser wunderbar duftenden Masse wird nun ein Löffel als neues Anstellgut entnommen, mit wenig Mehl und Wasser gefüttert und im Glas im Kühlschrank gelagert. Den Rest vom alten Glas von vorher kann man zum fertigen Teig mischen. Und dazu braucht es jetzt noch 500 g Mehl, 1 EL Salz (nicht gehäuft) und ca. 2 dl Wasser. Und, weil der Sauerteig noch jung und nicht ganz so fit ist, auch ein bisschen Hefe, vielleicht 10 g. Das alles wird nun in der Küchenmaschine zu einem Teig geknetet und dann noch einmal 2 Stunden stehen gelassen.

Jetzt kann geformt und gebacken werden. Am besten sehr heiss, 250 °C, und unter Zugabe von Dampf. Die Glücklichen mit modernem Backofen mit Beschwadungsfunktion drücken dazu einen Knopf, unsereiner stellt eine Schüssel zuunterst in den Ofen und kippt dort beim Einschiessen der Brote ein Glas Wasser hinein. Voilà, mein erstes Sauerteigbrot, sensationell im Geschmack:

erster Versuch ist geschafft!

Man sieht: Brot backen geht nur bedingt unter der Woche, wenn man einer halbwegs geregelten Arbeit nachgeht. Die Produktion benötigt halt doch zwei Tage, an denen man einigermassen regelmässig nach dem Rechten schauen muss.

2 Kommentare

  1. Daniel sagt:

    Das ist ein feiner Bericht. Und ein feines Haustier. Oder so. Würde man hier von einem pflegeleichten Haustier sprechen? Und ein bisserl Inzucht ist das Ganze schon.

    • admin sagt:

      Es soll tatsächlich Leute geben, die den Sauerteig untereinander austauschen und so etwas Frische in den Genpool jagen. Was man so alles im Internet liest… Aber pflegeleicht bislang absolut. Eben vielleicht: Glück des Unbedarften!

An Daniel antworten